Upload-Filter: Wissenschaftler sprechen sich gegen geplante EU-Urheberrechtsreform aus
Das Ende von Youtube in Deutschland?
Artikel 13 der Urheberrechts-Richtlinie besagt, dass künftig Plattformen, die nutzergenerierten Content anbieten, für sämtliche hochgeladenen Inhalte haften und sie von den Rechteinhabern lizensieren müssen. Dabei geht es nicht nur um Musik, sondern auch Filme, Bilder, Fotos, alles, wo ein Urheber im Spiel ist. Und das ist bei einem Video: alles.
Copyright Directive
Article 13 (Value Gap) "Member States shall provide that an online content sharing service provider performs an act of communication to the public or an act of making available to the public for the purposes of this directive when it gives the public access to copyright protected works or other protected subject matter uploaded by its users. An online content sharing service provider shall therefore obtain an authorisation from the rightholders referred to in Article 3(1) and (2) of Directive 2001/29/EC, for instance by concluding a licencing agreement, in order to communicate or make available to the public works or other subject matter."
Damit müssten die Plattformen Inhalte massenhaft ausfiltern, um nicht pausenlos Klagen ausgesetzt zu sein, denn es ist schlicht unmöglich, alle urheberrechtlich geschützten Inhalte sauber zu erkennen, zumal deren Nutzung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung (Zitat) oder als Satire im Sinne der Meinungsfreiheit legal ist.
Über die Grenzen von legaler und illegaler Nutzung wird im Einzelfall immer noch gestritten. Uns flatterte neulich eine Abmahnung für ein Youtube-Vorschaubild ins Haus, mit dem wir auf ein legales Youtube-Video verwiesen haben. Die Dimension dieser Urheberrechtsreform ist riesig und deshalb protestieren so viele Menschen lautstark dagegen.
Die Befürworter sehen durch Youtube und Co. die Urheberrechte zahlreicher Grafiker, Fotografen, Texter oder Komponisten außer Kraft gesetzt und verlangen eine faire Vergügung durch die Plattformen, die schließlich mit diesen Inhalten Geld verdienten. Deshalb sollten sie, wie kostenpflichtige Plattformen Spotify, Deezer und co. zahlen. Das hieße letztlich Youtube per Gesetz zu einer Art Pay-TV ummodeln zu wollen. Wovon am Ende - außer Google - wahrscheinlich niemand etwas hätte.
CDU-Politiker Axel Voss ist der zuständige Berichterstatter für die EU-Urheberrechtsreform im EU-Parlament und ließ in einem Interview mit der Deutschen Welle sogar durchblicken, dass man Youtube möglicherweise verbieten müsse, so lange die Möglichkeit bestehe, dass dort urheberrechtlich geschützte Dateien hochgeladen werden. So kurz ist der Weg nach in China in der EU.
Nachdem der frühere Ärzte-Produzent Micki Meuser seine Argumente für Artikel 13 gut begründet dargelegt hat, melden nun einige Wissenschaftler starke Zweifel an, ob das denn alles so machbar ist, wie die Befürworter glauben. Dabei argumentiert niemand ernsthaft gegen das Urheberrecht und die faire Entlohnung von Kreativen, sondern dagegen, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
"Dass ein Algorithmus diesbezüglich alle erdenklichen Formen und Kontexte in Kritik, Satire oder Zitat erkennen kann, halte ich für absolut ausgeschlossen. Das bedarf der Einschätzung von Menschen und das ist auch gut so.“
Prof. Dr. Tobias Keber
Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien, Stuttgart
„Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform sieht den Einsatz von Upload-Filtern nicht ausdrücklich vor. Viele Expertinnen und Experten sind aber der Ansicht, dass sich die Anbieter einer Haftung in der Praxis nicht anders entziehen können als mit hochgradig automatisierten Systemen. (...) Spätestens bei der Abwägung widerstreitender Rechtspositionen wie dem Urheberrecht auf der einen und dem Recht auf freie Meinungsäußerung auf der anderen Seite aber wird Recht und Rechtsanwendung als soziale Praxis gelebt, die nicht in Softwarecode operationalisierbar ist."
Dr. Stephan Dreyer
Senior Researcher Medienrecht & Media Governance, Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut (HBI), Universität Hamburg
„Es wird auf absehbare Zeit keine Technik geben, die Fälle wie Zitate, Satire, Kritiken und Besprechungen, Nutzungen mit eigener Schöpfungshöhe, wissenschaftliche Nutzungsweisen und so weiter automatisiert korrekt bearbeiten kann. Das sind schwierige Fragen, die immer wieder auch Gerichte und Sachverständige herausfordern. (...) Inhalte kleinerer Verlage, Labels und Filmproduzenten müssen damit rechnen, ‚auf Nummer sicher‘ ausgefiltert zu werden.“
Prof. Dr. Tobias Matzner
Professor für Medien, Algorithmen und Gesellschaft, Universität Paderborn
„Anders als die Wortmeldungen mancher Politiker oder Verwertungsgesellschaften vermuten lassen, ist an keiner Stelle dieses Prozesses ‚künstliche Intelligenz‘ am Werk, die vielleicht sogar zulässige Parodien oder Zitate von unerlaubten Urheberrechtsverletzungen unterscheiden könnte. Es handelt sich um einen schlichten Mustervergleich, der erstaunlich robust funktioniert, häufig sogar zu robust. So wurden von Youtube sogar Aufnahmen einer politischen Demonstration fälschlich als Urheberrechtsverletzung eingestuft, weil dort über einen Lautsprecherwagen Musik abgespielt worden war, deren ‚Fingerabdruck‘ bei Youtube hinterlegt war.“
Prof. Dr. Florian Gallwitz
Professor für Medieninformatik, Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
"Es ließe sich eine Prüfung im Vorhinein auf klare Fälle beschränken, zum Beispiel das unrechtmäßige Hochladen klar abgrenzbarer, weil vollständiger Werke wie etwa ein aktueller Kinofilm oder ein ganzer Musikclip, die von den Rechteinhabern aktiv eingefordert werden müssten. So würden viele durch den jetzigen Wortlaut von Artikel 13 denkbare Kollateralschäden – etwa bei Zitaten oder Satire – wohl weitgehend wegfallen. Auch müssten geeignete Beschwerdeverfahren bei ungerechtfertigter Nicht-Veröffentlichung vorgesehen werden.“
Prof. Dr. Tobias Gostomzyk
Professor für Medienrecht, Technische Universität Dortmund
„Ich frage mich, warum man den Aufwand für das Filtern nicht auf die Rechteinhaber verschiebt. Diese fordern doch entsprechende Maßnahmen, also sollten sie auch den Aufwand für das Filtern haben und die Entscheidung treffen, ob und vor allem warum ein Werk urheberrechtlich geschützt ist. Das würde die Kosten für die Filter nicht auf den Plattformanbieter abwälzen und auch kleineren Plattformbetreibern eine Überlebenschance bieten. Wichtig ist allerdings, dass es eine Begründung für die Filterung gibt, so dass eine entsprechende Transparenz sichergestellt wird. Diese könnte man veröffentlichen und so auch möglichen Zensurvorwürfen vorbeugen.“
Prof. Dr. Andreas Hotho
Leiter der Data Mining und Information Retrieval Group, Institut für Informatik, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
„Um die Unmöglichkeit und Unfairness des Gesetzes zu verdeutlichen, erlaube ich mir folgenden Vergleich: Flohmärkte müssten in Zukunft alle verkauften Bilder, Filme und Tonträger überprüfen, ob es sich dabei wirklich um Originale handelt und nicht um illegale Kopien. Oder Telefonanbieter müssen alle Telefonate überprüfen, ob bei Konferenzschaltungen mit mehr als X Teilnehmern nicht urheberrechtlich geschützte Inhalte übertragen werden. Ich denke die Absurdität (und möglichen Folgen) dieser Gesetzesvorschläge ist offensichtlich.“
Prof. Dr. Marcus Liwicki
Leiter der MindGarage, Technische Universität Kaiserslautern, und Chair of the Machine Learning Group, Lulea University of Technology, Schweden
Die vollständigen Statements der Wissenschaftler gibt's beim Science Media Center.
Was Artikel 13 bedeuten wird, besprechen die Kollegen von Heise in diesem Video.