Dass Björk und Arca musikalisch miteinander harmonieren würden, war eigentlich abzusehen: immerhin sind sich die isländische Pop-Avantgardistin und der venezuelanisch-britische Elektro-Tüftler in ihren unwirklich-befremdlichen, manchmal gar verstörenden Klangästhetiken, die im Ergebnis doch immer wieder höchst sinnlich und zutiefst in der menschlichen Natur verwurzelt sind, gar nicht mal so unähnlich. Arca ist an sieben der neun "Vulnicura"-Songs beteiligt, und die gemeinsame Arbeit ging offenbar schnell von der Hand: nur wenige Monate hätten sie gebraucht, so Björk, ihre unfertigen Song-Skizzen in ein fertiges Album zu verwandeln, so gut habe die Chemie gestimmt.
Die ersten sechs Songs erzählen chronologisch die Geschichte einer Trennung (genauer: Björks Trennung von US-Künstler Matthew Barney, circa 2013) und der anschließenden emotionalen Heilung - "there is a way out", so Björk, und "Vulnicura" beschreibt ihn.
Das neue Album hat alles, was man an der berühmten Isländerin liebt - ihre in ihrer naiven Direktheit und Lebensnähe hochgradig lyrischen Texte, ihre eigensinnige, jede Silbe betonende und zwischen introvertiert und expressiv oszillierende Intonation, ihr raues Timbre und ihre entblößte Emotionalität. Arcas Einfluss ist aber deutlich hörbar. Seine pluckernden, glucksenden, pochenden Beats, die streckenweise fast ein Eigenleben zu entwickeln scheinen, werden ganz sparsam eingesetzt und lassen Björks starker Persönlichkeit jederzeit den Vortritt.
Opulent-feierliche Streicherarrangements, von Björk als letzter Produktionsschritt in Island aufgenommen, ziehen sich durch das ganze Album, bilden einen organischen Konterpunkt zu Arcas technologisch-kalten Klanghintergründen und fügen dem die Kompositionen bestimmenden Minimalismus ein Stück schimmernde Wirklichkeit - und Pathos - hinzu.
Die Songs verweigern sich oft der antizipierten Steigerung, die aufgebaute Spannung der Langsamkeit wird nicht gebrochen. Wie bei "Black Lake" zum Beispiel, einer der Key-Tracks des Albums: Über zehn Minuten windet und wandelt sich dieser tieftraurige Abgesang auf eine verlorene Liebe, steigert sich mehrfach von einsamer Leere zu stampfendem Club-Electro und wird dann doch immer wieder ausgebremst, die Erlösung des befreienden Höhepunktes bleibt ihm verwehrt.
Dass die Heilung aber letzten Endes doch immer kommt, ist die von Björk selbst formulierte Prämisse des Albums, und so führt uns "Vulnicura" in gewisser Weise von der Dunkelheit ins Licht. Überhaupt, "Vulnicura": Der Titel ist ein auf den lateinischen Wörtern 'vulnus' (Wunde) und 'cura' (Heilung, Kur, aber auch: Liebeskummer) basierender Neologismus, der sich wohl in etwa mit 'Wundheilung' übersetzen lässt.
"Vulnicura" ist Björk at her best, zutiefst persönlich und universell in einem, und zugleich auch das Beste zweier Welten: die erdverbundene Organik Björks und die technisch-synthetische Elektronik des 25 Jahre jüngeren Digital Natives Arca, vereint in einer klanglichen Symbiose.