Beyoncé hat mit "Lemonade" einen Hybrid aus Musikalbum und Film erschaffen. Das Format als Visual Album, die überraschende Veröffentlichung über Nacht, die Wut über das angebliche Fremdgehen ihres Mannes Jay-Z und der Zorn ob der sozialen Ungerechtigkeit zwischen Schwarz und Weiß machen "Lemonade" zu einem der spannendsten Releases des Jahres. Und die Resonanz der Musikpresse war enorm und kontrovers.
Der Gesellschaft voraus
Die Zeit sieht in Person von Daniel Gerhardt in "Lemonade" in erster Linie eine öffentliche Demontage Jay-Zs."Vor der Veröffentlichung von Lemonade galt Beyoncés Ehemann als unangreifbarer Rap-Tycoon. Dann erwies sich das sechste Soloalbum seiner Frau als wutentbrannte, eindeutig adressierte Wortmeldung zum Thema Ehebruch – und die halbe Welt fragte sich, wie Jay Z nach dieser öffentlichen Demontage jemals wieder auf die Beine kommen soll."
Das Große an dieser Platte ist aber Beyoncés Bereitschaft zur Versöhnung, womit sie offenbar dem Zeitgeist um einige Schritte voraus sei, wie Gerhardt schlussfolgert.
Patriotismus der Verlierer
Julian Dörr von der Süddeutschen Zeitung möchte über die Anspielungen zu den Aktivitäten Jay-Zs nicht viele Worte verlieren: "Beyoncé ist also nicht nur eine abwechslungsreiche und trotz historischer Verästelungen wirklich erfrischende Pop-Platte gelungen, sondern vor allem ein starker emanzipatorischer Akt. Den man ganz und gar nicht auf Anspielungen zum Zustand der Ehe mit Jay-Z abklopfen muss - so wie es viele Kritiker schon getan haben."
Zudem hört er ein kritisches, aber im Kern sehr patriotisches Album mit einem Ziel, das Donald Trumps Herz höher schlagen lässt: "Auch wenn die schwarze Frau bislang auf der Seite der historischen Verlierer stand, es ist an der Zeit sich zu erheben - und Amerika wieder groß zu machen."
Wie man Popmusik zerstört
Michael Pilz von der Welt geht vor allem auf die exklusive Veröffentlichung über Tidal ein und beschäftigt sich mit der philosophischen Frage, ob es sich nur dann um Musik handelt, wenn es Menschen gibt, die sie hören. Pilz erkennt in "Lemonade" zwar auch, "wie politisch das Private manchmal sein kann", sein Artikel kreist aber hauptsächlich um die Einschätzung von exklusiven Streamingdiensten. So beginnt der Text mit den prägnanten Worten: "Stell dir vor, es gibt wieder ein Album, das die Welt erklärt, und keiner hört es."
Ein emanzipatorischer Akt
Spiegel Online hält sich mit kritischen Tönen zurück und lobt "Lemonade" als revolutionär in seiner Form, Veröffentlichung und thematischen Bearbeitung. Autor Andreas Borcholte ist insbesondere von der feministischen Kraft Beyoncés begeistert:
"Lemonade ist ein emanzipatorischer Akt, ein kraftvolles, intimes, äußerst stilsicheres visuelles und akustisches Manifest weiblicher Selbstermächtigung und -vergewisserung, das vom Privaten wirkungsvoll ins Politische und zurück wechselt. Das sich seiner inszenatorischen Finesse ebenso bewusst ist, wie seiner emotionalen Wucht und Sexyness - ein bittersüßer, absolut belebender Zaubertrank."
Eine von uns
Natürlich gab es auch in ihrer Heimat ein lautes Medienecho. Die New York Times konzentriert sich wiederum auf das vermeintliche Ehe-Drama und fragt sich, ob die Beziehung trotz musikalischer Versöhnung mit Jay-Z noch zu retten ist. Und obwohl Beyoncé in ihrem Status als Superstar ein völlig anderes Leben lebt als ihre Fans, wird sie, wenn es um Herzensangelegenheiten geht, eine von uns: "She is a star whose world is vastly different from that of her listeners. But in matters of the heart, with their complications and paradoxes, Beyoncé joins all of us."
Grenzenlose Kunst
Die Washington Post schreibt Lobeshymnen über Beyoncés Status als Geschäftsfrau ("Beyoncé simply gets on with building her own aesthetic and industrial empire") und Erfinderin und vergleicht sie sogar mit Thomas Edison: "But she’s also akin to Thomas Edison, marshaling her own prodigious gifts, and those of the artistic team she’s so astutely assembled, to create material for a burgeoning delivery system. [...] Beyoncé has turned the concept of “breaking into movies” on its head. Instead, she’s the one who’s broken the movies, bending the medium to her own fiercely autonomous will." Autorin Ann Hornaday sieht Beyoncé als Künstlerin die Grenzen überschreitet und sich nicht von Konventionen aufhalten lässt.
Statement
Und die Kollegen des amerikanischen Rolling Stone sind einfach nur begeistert von Mittelfingern und Statement:
"The queen, in middle-fingers-up mode, makes her most powerful, ambitious statement yet."
Rapperin Azealia Banks ist hingegen gar nicht beeindruckt und wirft Beyoncé vor, mit ihrem Eintreten für Schwarze und Frauen nur auf einen Trend aufgesprungen zu sein. "Beyonce spent her entire career purposefully avoiding "blackness" but now that it's a trend she's trying to capitalize on it". Außerdem sei sie keine Künstlerin, weil sie sich all ihre Ideen nur zusammenkaufe. "Don't think for a second that beyonce was intelligent enough to come up with any of those ideas on her own."
Unsere Meinung zu Tidal könnt ihr übrigens hier nachlesen.