Kaum ein Album wurde 2013 so heiß erwartet wie „Reflektor“ von Arcade Fire. Allen Beteiligten – Fans, Band und Kritikern – war klar, dass die vierte Platte der Grammy-Gewinner aus Montreal etwas ganz Besonderes werden musste, schon allein wegen des großartigen Vorgängers „The Suburbs“. Mittelmaß und Wiederholung streng verboten. Inspiration für ihr neues Werk holten sie sich in Kuba, wo Arcade Fire nach dem Erdbeben 2010 eine Hilfsorganisation ins Leben gerufen hatten. Dort sind sie mit haitianischer Musik in Berührung gekommen, die weitgehend auf Trommeln beruht und bei der es in erster Linie um eine sehr körperliche Erfahrung geht.
Die Arcade-Masterminds Win Butler und Gattin Régine Chassagne holten James Murphy als Producer an Bord, was so manche/n im Vorfeld erschreckt haben mag: der knallige Synthie-Disco-Sound von LCD Soundsystem und DFA Records im Allgemeinen passt scheinbar gar nicht zum avancierten Americana-Folk-Indiepop-Entwurf von Arcade Fire – aber alle Bedenken dieser Art laufen ins Leere:
„Reflektor“ ist so überwältigend wie man Arcade Fire kennt und liebt, plus dem entscheidenden Extra, was dieses Mal eben Synthie-Disco-Elemente und eine tanzbare Leichtigkeit sind, die man so von der Band noch nicht gehört hat. Murphy hat Arcade Fire nichts Unpassendes übergestülpt, sondern das sowieso schon große Band-Universum ergänzt und erweitert. Die typischen DFA-Beats sind weitere Mosaiksteine, die sich erstaunlich gut einfügen in dieses pompöse Doppelalbum: dreizehn Songs, jeder für sich ein Konzeptkunstwerk, das den üblichen Poprahmen sprengt.
Der letzte Track, das experimentelle „Supersymmetry“ mit seinen langhaarigen, spacigen Krautrockanleihen, dauert mehr als elf Minuten und katapultiert die Hörer in die unendlichen Weiten des Weltalls. Davor hat man mit Arcade Fire aber schon Calypso getanzt („Here Comes the Night Time“), hat mit „Flashbulb Eyes“ dunkelste Dub-Tiefen ausgelotet oder in „Porno“ 1970er-No Wave und Discopop vereint.
Butler, Chassagne und Kollegen lassen himmlische Engelschöre und Streicher erklingen und fahren kurzerhand mit der Bohrmaschine dazwischen, andernorts jaulen Gitarren zum klimpernden Piano, Bass und Beats pulsieren – und stoppen unvermittelt, um in flirrende Psychedelik überzugehen. Win Butler croont mal geschmeidig wie David Bowie (der mit Arcade Fire als „The Reflektors“ auftrat) oder George Michael und greint im nächsten Song wie Gordon Gano von den Violent Femmes. Was sich hier liest wie ein gehöriges Durcheinander, klingt als Album meisterhaft und ja, überwältigend. Wie die Langzeitwirkung aussehen wird, zeigt sich spätestens beim nächsten Album.