Last.fm: Das letzte Radio
Last.FM-Mitbegründer Martin Stiksel im Gespräch
Last.fm ist eine nicht ganz unkomplexe Angelegenheit. Kannst Du uns Dein Unternehmen kurz erklären?
Last.fm gibt Musik im Netz ein Zuhause. Wie bringen alle Services zusammen, die mit Musik zu tun haben. Was Last.fm speziell macht, ist das Angebot zu personalisieren. Wir finden raus, welche Art von Musik du magst, und wir präsentieren nur jene, die relevant ist für dich.
Nun impliziert schon der Name einiges. Last.fm: das letzte Radio, oder das Radio, das alle anderen überdauert...
Glory oder Failure! Entweder wird Last.fm wirklich das letzte Radio, oder es ist das Allerletzte, von niemandem akzeptiert. Auf jeden Fall ist es eine Alternative zu den ganzen langweiligen Formatradios.
Wie verlief die Geschichte von Last.fm, eine der bislang wenigen wirklichen Web 2.0-Erfolgsstories, aus Deinem Blickwinkel?
1999 habe ich einen der jetzigen Partner, Felix Müller, bei einem Konzert kennengelernt. Wir haben damals sehr viel mit Napster rumgespielt und waren richtige Computer-Nerds. Nach zwei Wochen Napster-Intensivnutzung ist uns aufgefallen, daß wir nichts Neues entdecken. Wir hatten alles runter geladen, was uns gefällt, und partout nichts Neues kennengelernt. Dann haben wir das Feature entdeckt, daß man die MP3-Sammlung, also eigentlich den „Shared Folder“ einer Person, auf Napster browsen kann. Diese Idee hat uns sehr inspiriert. Wir hatten damals eine Online-Plattenfirma, „Insine“, und waren innerhalb kürzester Zeit mit großartiger Musik überflutet, die aber keiner kannte. Also haben wir uns die Frage gestellt: wie können wir diese Musik an die richtigen Leute und in deren Ohren bringen, ohne großartig Playlists bauen zu müssen oder Promotion-Aktionismus zu veranstalten. Wir wollten sicherstellen, daß die Musik die Leute automatisch findet. Ab 2002 haben wir konkret an Last.fm zu arbeiten angefangen. 2003 haben wir uns mit „Audioscrobbler“ zusammengeschlossen, mit Richard Jones, der Plug-Ins entwickelt hatte, die mit iTunes, Windows Media Player und Winamp zusammenspielen und aufgelisten, was ein User auf seinem persönlichen Computer so tagtäglich abspielt. Das führte zur automatischen Erstellung eines Musikprofils. Und war die andere Seite der Medaille, die wir noch brauchten, um unser System vollständig zu machen. Wir haben gedacht, das ist ja eine großartige Idee und das geht dann ganz leicht.
War es wahrscheinlich aber nicht.
In der Tat. Richard ist nach London gezogen, hat dann ein paar Monate im Zelt auf der Dachterrasse schlafen müssen, weil wir wirklich null Geld hatten. Felix hat einmal am Tag für unsere Leute – wir waren damals zu dritt oder zu viert – gekocht. Das hat das Team zusammengehalten. Es war eine lange Durststrecke, bis ungefähr Ende 2005, wo wir die Seite neu gelauncht haben mit einem eleganteren Design. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir eine Million User, während es vorher nur ein Bruchteil war. Dann war auch die Flaute vorbei und wir hatten durch Investoren zum ersten Mal Geld zur Hand, um wirklich wachsen zu können. Vorher war das eher eine Gefahr, weil uns die Server ab und an abgeraucht sind, wenn zu viele Leute gleichzeitig Last.fm hören wollten.
Das mag ja im Rückblick durchaus eine aufregende Episode gewesen sein, aber wahrscheinlich wird es genug Leute gegeben haben, die gesagt haben: „ Was treibt ihr da eigentlich? Seid ihr verrückt?“
Auf jeden Fall. Es gab lange Durststrecken. Nachdem die erste Euphorie verflogen war, war die harte Realität da. Es war die Idee, die uns zusammengehalten hat. Am Anfang mit unserem Netlabel „Insine“ waren wir noch ein Kollektiv, eine grössere Gruppe. Da waren Designer dabei, Programmierer, Musiker. Es waren zunächst viele Österreicher und Deutsche, aber auch Italiener und Litauer und Schweden… Im Prinzip sind viele Leute auf der Strecke geblieben, die einfach irgendwann gesagt haben: „Na, das zahlt sich nicht mehr aus. Das wird nix mehr.“ Im Nachhinein verklärt man immer die Entwicklung, aber es waren auf jeden Fall Opfer zu bringen. Ich kann jetzt meinen ersten Urlaub in dreieinhalb Jahren antreten.
Ihr habt Last.FM in diesem Jahr für rund 300 Millionen Euro an CBS verkauft. Bist du jetzt Multimillionär?
Das ist eigentlich nebensächlich. Es hat sich nicht wirklich etwas großartig geändert hier in der Firma. Der Weiterbestand ist gesichert. Wir waren gerade auf dem Scheideweg - entweder noch mal Geld aufnehmen von Investment-Partnern oder eben die Liaison mit CBS eingehen. Diese Konstellation gibt uns einen freien Kopf. Unsere White Boards sind voll mit Ideen von vor drei Jahren, die wir einfach noch nicht umsetzen konnten, weil wir immer Woche für Woche überleben mussten. Das ist schon ein sehr befreiendes Gefühl.
Der Einstieg von Venture Kapital-Gebern ist üblicherweise ein richtiger Knackpunkt. Vom Nerd und Musikliebhaber zum knallharten Manager, der sich mit Finanzierungs-Fragen herumschlagen muss, ist ja ein weiter Weg.
Die einzige Chance, die wir hatten, war Vollgas drauf zu steigen und so viele Leute wie möglich zu begeistern. Das setzt aber technische Infrastruktur voraus, das setzt ein gewisses Development Level voraus, mit anderen Worten: das kostet einfach Geld. Das Internet ist ja ein harter, kapitalistischer Spielplatz, wo eigentlich im Prinzip immer nur einer übrig bleibt in einer Kategorie. Als Suchmaschine gibt’s Google, als Buchladen Amazon, für Auktionen ebay. Wenn einer mal der dominante Player in einem Bereich ist, dann war’s das. Und um da mitspielen zu können braucht man ein gewisses Startkapital, sonst hat man verloren von vornherein.
Wenn das Prinzip gilt: es kann quasi nur einen geben - ist Last.fm im Jahr 2007 schon unangreifbar?
Na ja. Seit ungefähr einem Jahr gibt es gewisse Projekte, iLike zum Beispiel, die Aspekte von Last.fm, wie soll ich sagen, kopieren. Oder imitieren. Es ist interessant: normalerweise ist es in diesem Markt so, dass die Europäer von den Amis kopieren, dieses Mal ist es umgekehrt. Wie haben uns durchaus ein bisschen geehrt gefühlt.
Du hast sicher mal vor Investoren auf einer Tafel Grafiken gezeichnet, nach dem Motto: hier ist Myspace, hier ist YouTube, hier ist Wikipedia und hier sind wir. Bewegt man sich in solch einer Matrix, vergleicht man sich, oder sind das andere Planeten, die man eigentlich nicht wirklich weiter wahrnimmt?
Myspace oder Youtube, das sind auf jeden Fall rote Riesen. Die haben extreme Gravitation. Die ziehen viele Leute an, und verschlucken auch viele. Wir sind ein eher kleinerer Stern. Man fühlt sich jedenfalls von der Konkurrenz inspiriert. Wir sind in Kontakt mit Myspace und Youtube und Google. Man kennt einander, hier in London. Was Musik betrifft, ist Last.fm mittlerweile ein ernstzunehmender Player. Und das ist schon von Vorteil, weil das Spielfeld Musik einfach noch relativ ungeklärt ist und unbesetzt ist.
Wie steht es um sensible User, die sagen: „Alles gut und schön. Mir wird etwas geboten, aber ich muss ja auch etwas dafür geben, nämlich meine Daten“. Audioscrobbler erforscht meine Festplatte, erforscht meinen Computer, sieht, was ich spiele. Ich zieh’ mich da in punkto Geschmack ziemlich nackt aus vor der Öffentlichkeit.
Alle Daten, die wir einsammeln, sind auf der Website für jedermann zugänglich. Gratis. Ich glaube, dadurch, daß wir von vornherein immer klar gemacht haben, daß wir das so halten, ist es ein Pro-Argument für viele. Etwa, um ihren eigenen Musikgeschmack ein bisschen zu analysieren und zu vergleichen. Wir haben den Leuten die Möglichkeit gegeben zu sagen: hier ist eine Webseite, nächstes Mal, wenn du mich fragst, welche Musik ich mag, schau einfach dorthin. Da siehst du meine 100 Top-Künstler, und du kannst nachforschen, was ich vor 3 Jahren gehört habe. Bei Last.fm hast du auch die Möglichkeit anonym zu bleiben. Du brauchst jetzt nicht sagen: ich bin der und der, und ich wohn’ dort und dort. Du kannst dich „Joschi23“ nennen, und dann passt das auch.
Eine letzte Frage: wenn du jetzt so zurückblickst die letzten Jahre - gibt’s irgendwas, was du definitiv gerne anders gemacht hättest?
Puh. Schwierig zu sagen. Wenn man da eine kleine Sache ändern würde, wäre wahrscheinlich nicht alles so gekommen, wie es jetzt gekommen ist. Und es ist eigentlich nicht so schlecht gekommen im Endeffekt.
Das Interview führte Walter Gröbchen